Keine Patente - schon gar nicht auf Lebewesen!

CopyleftVerschiedene Hilfswerke und andere Organisationen sammeln seit einiger Zeit Unterschriften für einen offenen Brief an die Mitglieder des Europäischen Parlamentes und die Europäische Kommission, um die negativen Folgen der europäischen Patentrichtlinie zu korrigieren, welcher das Europäische Parlament 1998 zugestimmt hat (Richtlinie "Rechtlicher Schutz Biotechnologischer Erfindungen", Dir. 98/44 EC). Die Richtlinie wurde 1999 auch in das Regelwerk des Europäischen Patentamtes übernommen. Seitdem wurden etwa 900 Patente auf Tiere und etwa 1'800 Patente auf Pflanzen erteilt.

Diesen Text habe ich ursprünglich am 28.04.2011 auf einem anderen, derzeit inaktiven Blog von mir veröffentlicht. Das Original ist hier einsehbar: http://www.deviantlibertine.com/2011/04/keine-patente-schon-gar-nicht-auf.html.

Mir selber wurde das Thema jüngst wieder gegenwärtig, weil ich gerade des Philosophen und Chemikers Joachim Schummer lese. Das Buch aus der "edition unseld" - übrigens eine Reihe, die sich im deutschsprachigen Raum wie keine andere um den Diskurs zwischen Geistes- und Naturwissenschaften bemüht - kritisiert die Wechselwirkung der synthetischen Biologie und der medialen Berichterstattung darüber. Dabei streift es am Rande auch die Patentierung von Organismen. Im Folgenden werde ich kurz die Position Schummers skizzieren und anschliessend - aus individualanarchistischer Sicht - darlegen, wieso Patente allgemein abzulehnen sind.

Schummer: "Die Finger von der Patentierung von Lebewesen lassen"

Schummer lehnt Patente als solche nicht ab, schickt aber seiner Bewertung voraus, dass es "gute Gründe" gäbe, "an der Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit und Gerechtigkeit des Patentsystems zu zweifeln". Schliesslich hätten sich "längst globale Patentmonopole und -kartelle gebildet", die "kleineren Teilnehmern und ärmeren Ländern den Zugang zu Technologie und sogar zu wissenschaftlicher Forschung insgesamt systematisch verstellen" würden (S. 165ff.). Bezogen auf Patente auf Organismen lässt er zu Recht den Einwand nicht gelten, diese stellten Besitzrechte an Leben dar und würden daher zu einer "Entwertung des Lebens" führen. Schliesslich umfassen Patente nur ein zeitlich Begrenztes Eigentumsrecht am Herstellungs- oder Verwendungswissen einer Sache, und nicht an der Sache als solches.

Für Schummer sprechen aber drei Argumente gegen solche Patente auf Organismen: (1) Die Unschärfe der Begriffe "Gensequenz" bzw. "Genom", die man entweder (a) als "Stücke von Materie" verstehen kann, die man für technische Zwecke verwenden und somit patentieren, oder (b) im molekularbiologischen Verständnis als "Informationen über Organismen" betrachten kann, es sich also um nicht patentierbares Naturwissen handelt. (2) Generieren Sequenziermaschinen dieses Wissen automatisch, es sich also gar nicht mehr um eine identifizierbare geistige Leistung handelt. Schliesslich können sich (3) Lebewesen, auch modifizierte oder "hergestellte" (das "Herstellen" von Leben ist entgegen dem alltäglichen Sprachgebrauch nicht klar definiert, ebenso die Begriffe "Leben", "Lebewesen" oder "Organismus"), selber replizieren, weswegen sich die "Herstellung" oder Modifikation klar von der späteren natürlichen Fortpflanzung unterscheidet. Dies hat zur Folge, dass man, um ein Patent im herkömmlichen Sinn garantieren zu können, die kompletten Abstammungslinien unter Schutz stellen müsste, was den "Begriffsapparat dieses Rechtsgebiet erheblich überfordert". Schummer schliesst seine Betrachtung daher mit folgender Aussage:

"Die Ausdehnung des Patentschutzes auf Organismen führt so zu einer Aufweichung traditioneller Kategorien und Kriterien, die das gesamte Patentsystem zum Schaden der Forschung und damit letztlich auch zum Schaden der Gesellschaft unterminiert."

Individualanarchistische Position zum "geistigen Eigentum"

Während sich Schummer nicht grundsätzlich gegen Patente ausspricht, lehnt die individualanarchistische Position Patente per se ab, schliesslich handelt es sich bei Patenten um Monopole, also staatlich sanktionierte Formen des Eigentums, welches dazu genutzt werden, die Freiheit aller einzuschränken. Benjamin R. Tucker und andere lehnen - dies im Gegensatz zu vielen anderen anarchistischen Strömungen - Eigentum nicht ab, definieren als solches in der Nachfolge der Arbeitstheorie von Locke ("Two Treatises of Government", II, §28) aber nur solche Dinge, die aus eigener Arbeit entspringen. Eigentum an Boden oder Zins zum Beispiel sind ebenfalls staatlich sanktionierte Monopole, die es zu überwinden gilt.

Tucker sieht in diesen Monopolen, die immer nur dank staatlicher Sanktionierung oder zumindest Duldung zustande kommen, einen der Hauptgründe für die Armut der Menschen. Vier solcher Monopole hebt er immer wieder hervor: (1) das Geldmonopol, (2) Zölle und Handelshemmnisse, (3) Eigentum an Boden und daraus abgeleitete Zinsen (Mieten etc.) sowie schliesslich (4) das sog. geistige Eigentum (was heute als intellectual property bezeichnet wird). Besonders aufschlussreich ist hier Tuckers "The Attitude of Anarchism Toward industrial Combination" (1899).

Die folgenden Argumente gegen Patente und "geistiges Eigentum" führt Tucker ins Felde: (a) Die beschränkte Laufzeit. Eigentum im individualanarchistischen Sinn besitzt ausser der freiwilligen Aufgabe (Verkauf etc.) kein "Verfalldatum". (b) Da der Staat aus anarchistischer Optik keine Existenzberechtigung hat, sind auch die von im garantierten Monopole hinfällig. (c) Der freie Austausch unter freien Individuen wird, einmal von den Fesseln des Staates befreit, effizient und effektiv die von den Befürwortern des "geistigen Eigentums" befürchteten Missstände lösen; Tucker war damals, zur Blütezeit der riesigen Industriekonglomerate, bereits der Meinung, dass diese kapitalintensive (kapitalistische) Wirtschaftsweise in absehbarer Zukunft von einer von Kleinst- und Kleinunternehmen dominierten Ökonomie abgelöst werden wird. Zu Recht, wie man in der heutigen nachindustriellen Gesellschaft feststellen darf. Die Unterscheidung zwischen freiem Austausch unter freien Individuen ohne Staat (Markt) und einem in seiner Grundlage immer etatistischem Kapitalismus macht im Übrigen deutlich, dass es in der Tat einen "marktwirtschaftlichen Antikapitalismus" (free-market anti-capitalism) gibt. (d) Patente behindern den Wettbewerb und damit die Innovation, was sich wiederum negativ auf die Preise auswirkt (Armut). Tuckers Haupteinwand gegen "geistiges Eigentum" ist jedoch (e) die Feststellung, dass es an nicht-materiellen Dingen (abstract things) wie Ideen und Wissen - worunter eben auch Herstellungs- und Anwendungswissen fallen, jene Kategorien von Wissen also, die hauptsächlich die Grundlage von Patenten bilden - kein Eigentum geben kann, da sie, verkürzt gesagt, nicht den Limitierungen der physischen Welt unterliegen; sie sind potentiell unbeschränkt vorhanden und zugänglich.

In diesem Zusammenhang habe ich auch schon postuliert, dass sowohl die Freie-Software-Bewegung wie auch die Idee der Creative Commons durchaus in der Traditionslinie des wohl genuin amerikanischen Anarchismus stehen. Dazu auch Christian Imhorst (2004): Die Anarchie der Hacker. Richard Stallman und die Freie-Software-Bewegung (HTML) und ders. (2005): Anarchie und Quellcode – Was hat die Freie-Software-Bewegung mit Anarchismus zu tun? In: Open Source Jahrbuch 2005 (HTML).

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