Musikindustrie: Schuss ins Knie

Reality Check

Seit einiger Zeit betreiben die vier Major-Labels der Schweiz - EMI, Universal, Sony und Warner Music - die gebührenpflichtige Plattform Music Promotion Network (MPN). Diese Bemusterungsplattform ersetzt den Versand von Promo-CDs etc. mit Downloads und Streams. An und für sich eine gute Idee - richtig umgesetzt. Aber wie immer, wenn die Contentindustrie beteiligt ist, regiert die Paranoia und siegt die Ignoranz gegenüber den neuen Medien. Die ersten Opfer waren 2008 die Musikjournalisten, die sich mit auch damals schon schäbigen 32 kBit/s-Streams begnügen mussten. Doch die Kritik verhallte ohne grosses Echo in den Mainstream-Medien. Anders verhält es sich nun bei den jüngsten Vorfällen: Die hohen Kosten sperren nicht-kommerzielle Lokal- und Webradios faktisch von MPN aus, was in den Medien einige Beachtung fand.

Die Union nicht-kommerzorientierter Lokalradios (UNIKOM) schrieb jüngst in einer Medienmitteilung, dass "vor rund einem Monat [...] die grossen Schweizer Major-Labels [...] die Zusammenarbeit mit den alternativen Radiostationen faktisch beendet" hätten. Die 15 nicht-kommerziellen Lokalradios, die in der UNIKOM zusammengeschlossen sind und immerhin rund eine halbe Mio. Hörer erreichen, weigerten sich, die rund 3'000.- teure "technische Anbindung an Radiostationen" (O-Ton MPN) zu bezahlen. Daraufhin stellten die Majors die Belieferung der Stationen mit Musik und Informationen ein. Laut UNIKOM sind nun auch keine Interviews mehr mit Künstlern der jeweiligen Firmen möglich. Zudem treffe das System nicht nur die Stationen selbst, sondern insbesondere Musikschaffende, Clubs und Veranstalter, da auch Printmedien die Musikberichterstattung reduziert hätten. Mit dem Druck auf die Medienschaffenden, MPN in Anspruch zu nehmen, würden die Majors zudem die Sendervielfalt beschneiden.

Logos Radio

Faktisch sieht ist es nun also so aus, dass Big Content Industry nur noch Big Media mit Inhalten beliefert. Für die kommerziellen Lokalradios, die allesamt in den Händen der Verlagshäuser sind, und die gebührenfinanzierte SRG sind die Kosten natürlich ein Klacks. Für nicht-kommerzielle Lokalstationen wie RaBe in Bern oder das Webradio für Sehbehinderte Radio Blind Power sind 3'000.- aber ein substantieller Betrag.

You Do Not Talk About Fight Club

Und, was kümmert uns das? Die SRG und die kommerziellen Sender spielen ja eh nur Einheitsbrei. Interessante Musik findet man kaum bei den Majors und damit auch nicht auf MPN. Die UNIKOM sagt ja selber, dass sie bei "kleineren Labels gratis Musik in Form von digitalen Downloads in hoher Qualität" beziehen können.

Alles richtig - aber betrachten wir die ganze Chose mal aus der - horribile dictu - kommerziellen Optik des Marktings. Obiger Zwischentitel ist die bekannte erste und zweite Regel aus dem gleichnamigen Film. These Nummer eins des Cluetrain Maifests lautet bekanntlich anders: "Märkte sind Gespräche" ... Aber fassen wir doch zusammen:

  • Wir (also Big Content Industry) haben eine gute Idee, wir ersetzen in diesem unseren Internet-Zeitalter die gute alte Promo-CD durch Downloads und Streams.
  • Aber hoppla, die Piraten, die lauern an jeder Ecke und sowieso!
  • Also verar***en wir zunächst einmal die Musikjournalisten mit schlechter Qualität. Macht ja nix, die sind ja von uns abhängig.
  • Uns gehen seit Jahren die Umsätze flöten (die Piraten! cf. oben). Also machen wir alles zu Cash, solange es noch geht. Ah ja, die Radios, die ja unsere Musik spielen, die dürfen nun auch für die Plattform zahlen (die SUISA-Gebühren sind ja eh viel zu tief).
  • Oh, diese nicht-kommerziellen "Störsender" ziehen nicht mit? Egal, denen wollten wir sowieso schon lange den Saft abdrehen.
  • Wir verticken unsere Ware ja eh nur noch bei Media Markt, Ex Libris und all den anderen Ketten. Und bei iTunes - die sind ja auf unserer Seite, so mit DRM und so.

Und die Moral von der Geschichte? Man kann sich auch selber ins Knie schiessen, sich also den eigenen Markt kaputt machen. Wer braucht den schon Fans? Die stören nur, mit ihren Gesprächen. Schuld an der Misere sind aber wie immer die bösen Filesharer - und Kinderporno-Gucker natürlich.

musikindustrie, radio, schweiz, mpn, marketing, fail

Kommentare

Matthias

Bescheuert. Und das Ganze hat ja auch System: Vorhin wollte ich ein Youtube-Video von Chlyklass schauen, aber Youtube beschied mir:

"Dieses Video enthält Content von Sony Music Entertainment. Es ist in deinem Land nicht mehr verfügbar."

Dümmer geht's nimmer. Wenn die "Kleinen" ihre Chance nutzen, könnte das für sie eine sehr gute Zeit werden.

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