Wissen ist eine Playlist
Immer mehr Deutsche über Neuigkeiten. Ihre News holen sie sich also bei Freunden und Bekannten, welche bei Facebook also in die Rolle von Meinungsbildnern und Gatekeeper schlüpfen. Wer sich so informiert, bewegt sich in einer klassischen Echokammer.
Spätestens seit der von Eli Pariser angestossenen Diskussion über das sog. Filter-Bubble-Phänomen wissen es auch alle Kulturkonservativen: "Google will [das] Denken abschaffen." (Frank Schirmacher). In der Tat ist es so, dass alles, was nicht in den Top 20 Suchresultate von Google auftaucht, kaum besucht wird. Das führt u.a. dazu, dass die Top 500 der Webseiten zusammen eine Reichweite von 51 Prozent erreichen, während sich der Rest der geschätzten 175 Mio. Webseiten die restlichen 49 Prozent teilen müssen.
Illusion der ungefilterten Bibliothek
Wolfgang Sander-Beuermann, Leiter des Suchmaschinenlabors der Leibniz Universität Hannover, möchte dieses Quasimonopol brechen und hat dazu u.a. den "Verein für freien Wissenszugang SuMa e.V" gegründet. Gefördert werden sollen alternative Suchmaschinen, die "unter Wahrung der informationellen Selbstbestimmung und des Schutzes vor Kriminalität" (O-Ton auf der SuMa-Webseite) jenes Wissen, welches nicht mehr nur auf Papier gedruckt wird, "allen Menschen unzensiert, ungefiltert und ohne kommerzielle oder staatliche Kontrollinstanzen zur Verfügung" stellen. Hehre Ziele, die nicht nur aus kommerziellen Überlegungen heraus - Konkurrent belebt immer das Geschäft - unterstützenswert sind.
Aber gibt es das wirklich, den ungefilterten Zugang zu Wissen? Jede Bibliothek filtert, sie kann gar nicht alle Bücher und schon gar nicht Ausgaben anschaffen. Google Books hingegen kann das. Jüngst habe ich das neue Buch von David Weinberger gelesen. In "Too Big to Know: Rethinking Knowledge Now That the Facts Aren't the Facts, Experts Are Everywhere, and the Smartest Person in the Room" ( | ) illustriert dies Weinberger am Beispiel von Malthus' "Essay on the Principle of Population", dessen Erstausgabe im Gegensatz zur dritten Auflage keinerlei statistisches Material enthält. Bei Google Books kann ich zwischen den verschiedenen Ausgaben wechseln und sie so vergleichen. Die wenigsten Bibliotheken bieten diese Möglichkeit. Ist so gesehen die Idee des Wissens selber nicht vielmehr nur ein Machtinstrument zur Erhaltung der privilegierten Positionen jener, die darüber entscheiden wer und was in das "Haus des Wissens" eingelassen werden (Foucault)?
Wissen ist eine Playlist, keine Bibliothek
Weinberger postuliert einen Übergang des Wissens von sorgsam kuratiertem - also gefilterten - Expertenwissen hin zu einem im Überfluss vorhandenen, in Bruchteilen von Sekunden auffindbarem Wissen, welches wir im Nachhinein sortieren: "Include it all. Filter it afterward." Wir sammeln so unser Wissen nicht mehr in Bibliotheken, sondern in "a playlist tuned to our present interests". Dies bedingt natürlich, dass jeder selber filtert und sich nicht freiwillig in der Filter Bubble einschliesst. Medienkompetenz ist gefragt, wie ich hier bereits ausführlich dargelegt hatte.
Gefiltert wird immer, auch offline
Christoph Kappes, Blogger und Internetunternehmer, gibt im aktuellen "Merkur" Entwarnung. Gefiltert wird immer, auch offline, meint er, und angesichts der Potenzierung von Informationen im Internet muss es dies erst recht: "Wer in Schwabing oder Blankenese wohnt, hat bald ein anderes Bild von der Welt als Cindy aus Marzahn. So wie jede Entscheidung Selektion ist, ist jede Entscheidung, die Situation nicht zu verändern, ein Schritt in die eigene 'Bubble'. Bemerkenswert ist nur, dass wir bei Onlinemaschinen mit Entsetzen 'Bubble!' rufen, während wir uns selbst in unserem Offlinekokon gut eingesponnen haben. Der Mensch verliert die Fähigkeit zu unterscheiden, wenn er zu lange nur auf Gegenstände und Routinen sieht, die sich nicht unterscheiden."
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