Relevanz vs. Reichweite
Wie es nicht anders zu erwarten war, wurde am World Blogging Forum letzten Samstag in Wien natürlich auch über die Kommerzialisierung von Blogs diskutiert. Zwar wurde das Thema von keinem Speaker explizit aufgegriffen, löste aber immer wieder - zuweilen auch heftige - Reaktionen aus dem Publikum aus. Ich selber hatte mich - wie der anwesende Berichterstatter registriert hatte - auch eher kritisch geäussert und darauf hingewiesen, dass heute die historisch erstmalige Chance besteht, mit kleinstem Ressourcenaufwand jeden beliebigen Inhalt schnell und einfach zu publizieren. Konkret zur Monetarisierung äusserte ich mich dahingehend, dass man nicht den Geschäftsmodellen von Dinosauriern folgen, sondern einen eigenen Weg suchen soll. Was, wie der geneigte Leser sofort versteht, eine Kommerzialisierung nicht a priori ausschliesst. Überhaupt ist mir diese einseitige Orientierung an der Reichweite suspekt. Gerade in den Social Media funktioniert diese doch so nicht mehr.
Die Relevanz eines Tweets zum Beispiel wird nicht von der Anzahl der Follower bestimmt. Nur weil man wie Ashton Kutcher oder Lady Gaga eine Horde von Fans auf Twitter hat, bedeutet das nicht gleich, dass man unter den einflussreichsten Leuten im Twitterversum ist. Von den rund 50 Mio. Tweets, die täglich veröffentlicht werden, werden nur die wenigsten gelesen: Die meisten User lesen nämlich nur zehn bis 20 Tweets während einer Sitzung. Beim Thema Einfluss auf Twitter geht es nicht um Quantität (Zahl der erreichten Nutzer), sondern vielmehr um Qualität. Wer zuhört ist entscheidend, nicht wieviele. Übrigens ein Umstand, der so auch für die traditionellen Medien gilt: Die richtigen 300 Leser sind für eine zu transportierende Botschaft wichtiger als eine Auflage von 100'000 Stück - ausser man ist Werber. .
Algorithmen sollen klären
Es gibt bereits Dienste, die Aufschluss darüber geben sollen, wer die einflussreichsten Leute auf Twitter sind. Pulse of the Tweeters zum Beipiel gibt es seit Mai und durchforstet seitdem die Top-Trend-Themen des Twitterversums. Die Seite nutzt einen Algorithmus, um die einflussreichsten Leute, die über Trend-Themen posten, zu bestimmen und zu reihen. Neben der Identifizierung dieser Nutzer gibt der Algorithmus auch Aufschluss darüber, ob die Tweets positiv, negativ oder neutral sind.
Das Zauberwort heisst also Relevanz. Aber das ist auch schon von gestern, denn das Herstellen von Relevanz ist der ureigenste Zweck jeder Suchmaschine. Seit Google macht man das mit Algorithmen. So gesehen ist Reichweite von vorgestern und ist ebenso wie das Hypodermic-Needle-Modell der Kommunikation völlig veraltet.
"Es ist das erste Mal in der Geschichte, veröffentlichen zu können, was man will." (Foto: Pilo Pichler)
All dies steht, wie eingangs bemerkt, einer Monetarisierung des Social Webs nicht im Weg. Nur hat noch niemand einen funktionierenden Weg gefunden, wie man Relevanz statt Reichweite kommerzialisieren kann. Darum hängen viele immer nich an eigentlich überkommenen Geschäftsmodellen. Die erfolgreiche Monetarisierung von Relevanz - oder die "Ökonomisierung dialogischer* Kommunikation", wie es rebell.tv genannt (Link funktioniert nur noch bis am 31.12.2010) hat - wird folglich "the next big thing" sein.
* Zum Unterschied von Diskurs und Dialog cf. und hier.
N.B.
Ich entschuldige mich für die schamlose Selbstdarstellung in diesem Beitrag, aber angesichts der laufenden - in meinen Augen sehr schrägen - Diskussion im Nachgang zum #wbf2010 mochte ich keinen eigentlichen Bericht schreiben, wollte aber doch einiges dazu doch noch veröffentlichen. Da hat sich dieses Thema angeboten.
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